- Bericht
16.08.2024
Bericht in der Schwäbischen Zeitung: Von Fingerspitzen- und Zugehörigkeitsgefühl
Die Schwäbische Zeitung hat am 02.08.2024 einen Bericht von Jochen Dedeleit gedruckt. Es geht um die Frage, wo der Boxsport steht und wie sein Ruf in der Region ist. Was unsere Mitglieder dazu gesagt haben, erfahrt ihr hier.
"
Von Fingerspitzen- und Zugehörigkeitsgefühl
Antonio Ruberto und Thomas Schuler gehören zur alten Garde, Sven Conzelmann zur aufstrebenden. Die SZ fragte bei der LM in Singen, wo der Boxsport steht und wie sein Ruf in der Region ist.
Von Jochen Dedeleit
Singen – Die dreitägigen Elite- und U22-A- und B-Landesmeisterschaften der Boxer in Singen wurden von den Vereinen und Athleten besser angenommen als von den Boxfans. Lohnt sich der große Aufwand für Vereine noch, wird so eine Boxveranstaltung vom Publikum angenommen? Und wo steht der Boxsport am Bodensee und wie ist sein Ruf? Die Schwäbische Zeitung fragte nach. „Wir wollten endlich wieder eine Veranstaltung in Singen haben, die Elite-Landesmeisterschaften waren noch zu vergeben. Und da sie in Turnierform ausgetragen wird, macht es für unsere Leute Sinn“, meinte Antonio Ruberto, der weit über ein Jahrzehnt („Ich weiß gar nicht, wie lange genau.“) Vorstand des BC Singen ist und „schon lange“ mit Trainer Giovanni Sestito zusammenarbeitet.
Die Singener seien im Begriff, eine neue Generation aufzubauen, „nur die Leistungsbereitschaft ist nicht immer so gegeben. Vor allem der Übergang von der Jugend zur Elite sei schwerer, härter geworden, „da setzen sich nicht so viele durch“. Singen hat fünf Boxer zu den Titelkämpfen gemeldet, mit dem U19-Boxer Oleksandr Sytnikow aus der Ukraine ist wieder einmal ein Akteur bei einer Nachwuchs-DM in Königsbronn – und zwei, drei aussichtsreiche Talente seien ebenfalls noch vorhanden: „Mit der aktuellen Situation bin ich zufrieden“, so Ruberto, der 2000 Belgischer Meister und 1998 Italienischer Vizemeister war. Der 51-jährige Inhaber von zwei Staatsbürgerschaften, der zwei Söhne mit seiner aus Kroatien stammenden Frau Keti hat, sagt, dass der Boxsport in der badischen Region einen guten Ruf genießt.
„Wir selbst profitieren noch von unserem Bundesligateam, da haben wir noch Rückendeckung. Aber es ist schon abgeflacht, das liegt wohl an der Vielfältigkeit der mittlerweile vorhandenen Angebote. Früher gab es Fußball, Handball, Tennis, Boxen und einer ging dem Bogenschießen nach. Gefühlt hatten die Kids auch noch nicht so viel Geld“, erklärt Ruberto, der weiß: „Wir haben uns durchsetzen müssen, die Mentalität war eine andere.“ Der Familienvater verspricht: „Wir sind ein gemischter Haufen und behandeln alle gleich. Das ist kein Affentanz bei uns, Politik und Religion haben hier nichts verloren.“ Hilfsbereitschaft gehöre zum BC Singen, Fingerspitzen- und Zugehörigkeitsgefühl ebenso wie Toleranz. „Wenn einer seinen Beitrag nicht bezahlen kann, wird nicht abgebucht. Ich zeige Größe, wenn ich auf Menschlichkeit achte“, so der leidenschaftliche Ex-Boxer, der es freilich schade fand, dass die Halle nur am Samstagabend und Sonntagmittag einigermaßen gefüllt war. Auch für Zuschauer war es ermüdend, 27 Kämpfe an einem Tag zu verfolgen. Auf seine langjährigen Sponsoren könne der BC Singen jedoch bauen.
Sven Conzelmann gibt in der Sporthalle der Grundschule in Blitzenreute Boxern eine neue Heimat (die SZ berichtete). Die sechste Abteilung des SVB war auch in Singen in aller Munde, gleich sieben Faustkämpfer kletterten bei den Landesmeisterschaften in den Ring. Alle hatten einen Gegner – und dass sich auch seine Boxer immer mit anderen messen können, ist der 43-Jährige vor allem auf eines aus: Vernetzung. „Der Austausch und die Zusammenarbeit der Boxvereine in Oberschwaben und am See müssen besser werden, in Heidelberg am Olympiastützpunkt und im Stuttgarter Raum wird gesparrt ohne Ende.“ Deshalb wird in Blitzenreute das Talentzentrum Süd entstehen, „die Leute können sich bei mir treffen, beim SV sollen viermal im Jahr Fortbildung und Sichtung stattfinden“, so Conzelmann, der dies bereits mit Bundesstützpunkttrainer Vladimir Pletnev, Geschäftsführer Leistungssport BW Vahagn Sahakyan und BVBW-Präsident Klaus Kaibach abgestimmt hat. „Und die Vereine müssen keine Angst haben, ihre Athleten zu verlieren. Da wird niemand abgeworben“, verspricht der umtriebige C- und demnächst B-Lizenz-Coach.
Der Ruf des Boxsports sei ausbaufähig, „in Langenargen, bei Champ Boxing oder in Friedrichshafen ist er gut, nicht zuletzt aber aufgrund des Weltverbands IBA und der Diskussion, ob der Boxsport weiterhin olympisch bleibt, ist die Situation schwierig. Durch das hoch koordinative Training ist Boxen aber gesundheitsfördernd. Die Frage ist eben, wie du Boxen lehrst und durchführst“. Sven Conzelmann musste sich aber auch schon mit dem Problem auseinandersetzen, dass die Jugendlichen abspringen, wenn es zum Studieren geht, „das ist das Boxinternat in Heidelberg eine gute Sache“. Mit den Talentzentren an fünf Orten in Baden-Württemberg, die Ex-Bundestrainer Pletnev regelmäßig abfahren wird, „forcieren wir Qualität“, sagt BVBW-Präsident Klaus Kaibach, der die rund 120 Teilnehmer der Landesmeisterschaften wie Pletnev unter die Lupe nahm.
Thomas Schuler, Gründer, Vorsitzender und Cheftrainer des Boxteams Langenargen, sieht den Boxsport hierzulande wieder im Kommen. 2020 und die Jahre danach sei er schlichtweg nicht mehr vorhanden gewesen, den ersten Vergleichskampf vor wenigen Monaten in Langenargen, wo sich rund 700 Boxfans eingefunden hätten, sei ein Beleg für das Aufleben gewesen. „Allerdings gibt es immer noch den kleinen, aber feinen Unterschied zwischen wollen und machen. Du musst genügend Freiwillige finden, überhaupt erst einmal den Verein und dann die Leute im Verein“, sagt der Mariabrunner.
Auch der Ruf habe sich gebessert, „und ich meine da die Verbindung zum Rotlichtmilieu, die nicht mehr so gegeben ist. Von den Skandalen um den Weltverband kriegen wir hier am See nicht viel mit“, so Hauptkommissar Thomas Schuler, der wie andere Vereine auf der Suche nach den Jugendlichen ist und deshalb auch „fünf, sechs, sieben Probetrainings“ anbietet. Vieles spiele aber eine Rolle: „Wer will sich noch quälen? Auch stehen andere Interessen im Vordergrund. Und finden Jugendliche den Weg zu uns, dann steht das Handy bei jeder Pause oder in der Pizzeria nach dem Training im Vordergrund.“ Dabei sei er sehr wohl möglich, Freunde im Verein zu finden, „denn das ist der Sinn und Zweck des Vereinslebens“.
"
Bericht Schwäbische Zeitung, 02.08.2024, Jochen Dedeleit